Es war einmal ...ein gelber Luftballon. Den Beginn seines Daseins, seiner Existenz verbrachte er in einer durchsichtigen Zellophanhülle. Dicht eingezwängt und platt gedrückt von seinen blauen, grünen, roten, weißen, lilafarbenen Artgenossen. Die Welt offenbarte sich ihm in seinen ersten Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Wochen als eine Kakophonie aus blau, grün, rot, weiß und lila in bedeutungsloser, gleichtöniger, ewigwährender Unbeweglichkeit. Bis -Ja, bis plötzlich die Enge um ihn herum nachließ, blau, grün, rot, weiß und lila verschwanden und die Welt um ihn herum geriet in Bewegung. Alles veränderte sich, war im Wandel begriffen. Der gelbe Luftballon blähte sich, wurde gefüllt, war erfüllt: die immerwährende blau, grün, rot, weiße und lilafarbene Kakophonie explodierte und expandierte in Farbspiele, Farbwechseln, Licht, viel Licht, Leichtigkeit und Luft. Der gelbe Luftballon stieg in die Luft. Die Enge und Schwere der Welt verlies ihn und er wurde emporgezogen in eine unermessliche Weite. Die Winde, Luftströme der Welt trugen ihn, umschmeichelten, streichelten ihn, spielten mit ihm und schickten ihn auf eine Reise. Auf eine Reise, deren Endpunkt noch nicht klar definiert war, die viele Möglichkeiten bereithielt, da die Unermesslichkeit der Welt ihn umgab.- Wohin geht die Reise? Alles ist offen ....
Der Luftballon flog mit den Winden davon, strudelte, wirbelte unter den Wolken her, ließ sich von den Sonnenstrahlen wärmen, genoss die Schatten der Wolken.
Die Freiheit war grenzenlos, endlos erschien der Horizont. Das Grün, Braun, Grau unter ihm verfloss mit den Farben von blau, weiß, gelb über ihm.
Freude - Ekstase!
Nach und nach differenzierten sich die Farben wieder, wurden zu kleinen, einzelnen Punkten in der Weite.
Spielzeuggleich wurden Häuser, Türme, Kräne, Brücken, Straßen sichtbar. So klein, so unschuldig.
Beinahe wurde er an die Spitze eines Turmes geweht. Kinder riefen: "Schau mal, der Luftballon!". Hände reckten sich um die Schnur, die an ihm baumelte zu ergreifen. Aber so sehr sie sich auch bemühten, sie erwischten ihn nicht, ohne sich zu weit über die Brüstung lehnen zu können. Die Menschen waren gebunden an die Erdschwerkraft, nur er, der gelbe Luftballon, konnte tanzend über sie hinweg segeln.
Da, etwas berührte ihn - ein gellender Schrei! Er sah noch, wie jemand halb über der Brüstung hing, gepackt von einer kräftigen Hand. Angstvoll verzerrtes Gesicht.
Da war er weg, weiter getrieben. Sa ein Wuseln unter sich, wie Ameisen auf ihrem Bau. Die Menschen schienen getrieben , um die Gebäude jagend. Nur vereinzelt fand sich jemand, sitzend, anlehnend, staunend.
Dann entschwanden die Gebäude und der gelbe Luftballon wirbelte weiter. - Wohin jetzt? Nun, wir werden es bald erfahren,...
Und der gelbe Luftballon wirbelte weiter, unter den weißen Wolken dahin, die sich am azurblauen Himmel verteilten.Unten auf der Erde, wurde eine grüne Landschaft sichtbar. Aus dem grün schälte sich ein grauer Weg hervor, umgeben von weiten Feldern sonnengelber Pflanzen. Gelb - Grün - Grau und inmitten dieser Farben, seltsam verloren ein schwarzer Punkt. Der Punkt wurde beim Näherkommen sichtbar als Mensch. Langsam trottete dieser Mensch dahin. Den Blick auf den grauen Weg gerichtet. Er schien nicht zu bemerken, daß der gelbe Luftballon sich ihm näherte. Schwer hob und senkten sich die Füße des Menschen auf dem grauen Weg. Die Anziehungskraft der Erde schien diesen Menschen stark auf den Weg zu ziehen. Da berührte der luftig leichte Luftballon mit seiner Schnur diesen Menschen am Kopf. Eine Hand hob sich und wedelte über den Kopf , wie automatisch. Aber der Luftballon lies sich nicht verscheuchen, wie eine lästige Fliege. Nochmals streifte er den Menschen am Kopf. Da blickte dieser auf, überrascht schaute er den gelben Luftballon an. Er schien zu wanken, kam aus dem Tritt, blieb stehen und schaute um sich: "Wo bin ich? Wo kommen diese Farben auf einmal her? Es war doch alles nur grau! Und nun - gelb um mich und über mir! Wo kommst du denn her, gelber Luftballon? Hast du die Farben hergebracht? Es ist plötzlich so warm hier? Mir war es auf meinem Weg so kalt, mein Körper so schwer, daß es mühsam war, die Füße vom Boden zu lösen, um auf diesem Weg weiterzugehen."Der Mensch breitete die Arme aus, legte den Kopf in den Nacken, öffnete weit die Augen. Das Blau des Himmels, das Weiß der Wolken spiegelten sich in seinen Augen wider. Ein leichter Wind kam auf, die Wolken begannen sich in eine Richtung zu bewegen, die Halme der sonnengelben Pflanzen wogten sachte hin und her. Der Mensch schien den Wind zu spüren, senkte den Blick, schaute auf die Felder. Er nahm seine Hand und berührte die wogenden Pflanzen. Tränen rannen ihm aus den Augen: "Danke, danke lieber gelber Luftballon!" Da aber der Wind aufgekommen war, wurde der Luftballon schon wieder davongetrieben, hörte aber noch entfernt, als leises Säuseln diesen letzten Satz des Menschen, und dann war er davon und flog weiter, einem neuen Ort entgegen...Wohin? -(Gewidmet Gerd. K.)
Der Luftballon fliegt vor sich hin. Landschaften mit Äcker, Wiesen, Weiden, Wälder und weiter Flur enstehen und vergehen. Städte tauchen auf aus dem Dunst, erheben ihre Zinnen, Schlote, lassen Lärm ertönen. Und einige Zeit wieder verklingt der Lärm, die hohen Türme verschwinden und machen Platz für kleine Häuser mit Blumen, Äcker, Tieren und Kinder. Autos fahren auf der Straße, Füchse huschen durchs Gebüsch, Kinder toben durchs Gelände. Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Und immer weiter geht die Reise durch die Zeit der Tage. Auf den Äckern werden nun die Früchte der Aussaat geerntet. All das beobachtet still und leise der gelbe Luftballon und fliegt unbemerkt über den arbeitenden Bauern davon.
Langsam wird es früher dunkel, die Nacht bricht bald herein. In der Ferne lässt sich im aufziehenden Nebel ein Berg erkennen und auf dem Berg eine Ruine, eine Ruine aus Stein. Nur noch Fragmente einer einst stolzen Festung. Was mögen sich hier für Geschichten abgespielt haben?
Plötzlich ein herzzereisendes Klagen. Deutlich lässt sich der Schmerz einer geschunden Seele hören, spüren. Der Ton der hüllenlosen Stimme lässt alle Nuancen der trauernden Person aufblitzen. Es würde dem Zuhörer durch Mark und Bein fahren, hätte der Luftballon einen Körper aus Fleisch und Blut. Wer musste einen solchen Schmerz erleiden, der unbegreiflich ist?
Schatten tauchen auf aus dem Dunst und versuchen nach dem Luftballon zu greifen, spinnenartige Klauen, die Besitzer im Nebel verborgen, ...
Die Klauen griffen nach dem Luftballon, aber plötzlich kam ein Windstoß und riß den gelben Luftballon der Burgzinne entgegen. Er wurde gewirbelt, gehoben, sank ab, stieg wieder auf, immer höher und höher. Die Burgturmspitze kam immer näher. Abgebrochene Steinquader ragen über die Kante hinaus, ergraut, verwittert. Kleine Bäume suchen ihren Halt in den Spalten zwischen den verwitterten Steinblöcken. Ihre Äste ragen gefährlich nahe vor dem gelben Luftballon auf.
Plötzlich ein Kratzer und - PENG!- es wäre aus mit dem gelben Luftballon. Mit einem hässlichen Quietschen und Scharren strich die Spitze eines Astes an der dünnen gelben Haut des Luftballons entlang.
Da ertönt wieder dieser unsägliche Schrei, dieses jammernde Geheul einer geschundenen Kreatur. Wellen zogen über die Haut des Luftballons dahin, ausgelöst durch die Resonanz des Lautes.
Da taucht eine geisterhafte Gestalt auf den abgebrochenen Zinnen der Burg auf. Ein weißes KLeid umweht die Figur einer Frau. Ihr weißes Kleid bauscht sich in einem Luftzug auf, die langen gold schimmernden Haare umwehen ein feines, schmales Gesicht.
Die ganze Gestalt schimmert weiß. Dramatisch steht sie auf den Zinnen, die Arme zum Himmel erhoben, den Blick starr nach unten gerichtet. Sie scheint auf die große, kräftige Eiche zu starren, die frei auf einem Feld, am Fuße der Erhöhung, auf der die Burg ruht, steht.
Wie wird die Grußelstory wohl enden? ...
Ein weiterer Luftstoß treibt den gelben Luftballon wieder weg, weg von den gefährlich aufragenden Zinnen, mit den spitzen Steinen.
Er trudelt empor, den weißen Wolken entgegen, um dann, in einem windstillen Moment abzusacken, der großen Eiche entgegen. Immer näher kommt der Luftballon den aufragenden Ästen der Eiche entgegen.
Plötzlich kommt von unten wieder eine Luftböe und wirbelt ihn einen kurzen Augenblick wieder in die Luft. Er dreht sich um sich selbst, wirbelt herum, um dann kurz in der Baumkrone der Eiche zu landen. Sanft landet er auf den Ästen, wie als würde der Baum seiner fragilen Hülle gewahr sein.
Ein leichtes Säußeln geht durch den Baumwipfel, lässt den leichten Luftballon sanft über den Baum weitergleiden. Ein Rascheln, ein Raunen, ein Säußeln, der Baum scheint zu reden, auf der ihm eigenen Art. Ein Schimmern wird in der Mitte des Baumes sichtbar, dort wo die Äste des Baumes aus dem Stamm aufsteigen, aufsteigen in die freie Luft, der Burg entgegengestreckt.
Aus dem Schimmern wird ein leuchtendes Licht, das sich an der glänzenden Hülle des Luftballons widerspiegelt. Das Säußeln des Baumes vibriert in dem Luftballon nach. Er nimmt das Licht und die Töne des Baumes in sich auf. Dann plötzlich, ein weiterer wirbelnder Luftstoß entreisst ihn den Armen des Baumes und trägt ihn ein weiteres Mal den Zinnen der Burg entgegen.
Er fliegt der weißen Gestalt entgegen, die dort einsam steht. Fliegt ihren ausgebreiteten Armen entgegen. Am Horizont geht langsam die Sonne auf, hell und freundlich, die Wolken verblassen und die unheimlichen Geräusche verstummen. Der Sturm legt sich und ein Ruhe senkt sich über die Landschaft, wie durch einen Zauber verwandelt.
Der Friede scheint an diesem kleinen Teil der großen weiten Welt eingekehrt zu sein.